Tom Unterwurzacher

Alles ist möglich wenn man sich darauf vorbereitete was im schlimmsten Fall passieren kann.


„Wir sollten wieder zufriedener werden,“ teilte Tom Unterwurzacher (51) mir, Erwin Hofbauer, mit als wir in der Hütte auf seinem Hundeplatz bei einer Tasse Kaffee saßen und er mit nachdenklichem Blick über seine Routenerschließungen, seinem Absturz mit deren schwerwiegenden Folgen und seinem Weg zurück erzählte.


„Ich sehne mich schon oft an die früheren Zeiten am Fels zurück, da war alles so ruhig und entspannt. Wir haben echt „bärige“ Sachen gemacht, ich war absolut gut in Form, bin mein Leben lang geklettert und dann kam der Absturz, der alles verändern sollte!“ fing Tom mit glänzenden Augen an zu erzählen.


Die Anfänge

Als Schüler schon versteckte Tom Unterwurzacher, der in Going am Fuße des Wilden Kaisers aufgewachsen ist, die Klettersachen, damit er anstatt in die Schule in die Berge gehen und den Fels spüren konnte. Bereits mit 12 Jahren bestieg er die Fleischbank- Ostwand oder die Christaturm Kante am Kaiser.

1977 in seiner Hauptschulzeit wurde es für den jungen Buben aus Going mit dem Klettern ernster. Es folgten im zwei Wochen Rhythmus ein Kaiserklassiker nach dem anderen wie die Fleischbank-SO-Wand, Predigtstuhl-Westwand, Mauck-Westwand (Buhlführe) und viele mehr.

Dann ging es schon los, dass ihn ältere Kletterer mitnahmen in die Dolomiten, wo auch schon erste namhafte Klassiker wie Große Zinne-Nordwand-Comiciführe, Westliche Zinne-Cassinführe und viele weitere.


Ich habe immer schon ein gutes Auge für neue Routen gehabt

1987/88 war das Sportklettern, laut Tom, noch nicht so aktuell. Krontaler Georg war es, der den Goinger Lokalmatador in die Klettergärten bracht, wo sie den Schwierigkeitsgrad nach oben schraubten. Sie waren eine der ersten Kletterer die im Alpinen Gelände den Schwierigkeitsgrad 9 minus kletterten. Jetzt folgten auch die ersten neuen Routen. Mit voller Begeisterung erzählte Tom, von den waghalsigen Erstbegehungen, die nur von unten erschlossen wurden, denn es war tabu sich von oben her abzuseilen, genauso wie das Bohrhaken zu setzen. Nur als Einheimischer war es ihm erlaubt, ein paar wenige zu bohren. So bemerkte Unterwurzacher stolz an, dass halt auf 40 Meter im Schwierigkeitsgrad 9 minus gerade mal zwei Bohrhaken gesetzt wurden, aber so sei es damals nun mal gewesen, auch das man sich mit selbstgebastelten Expressen in die Wände wagte.

Mit der Zeit wurden nach und nach neue Routen von Tom Unterwurzacher erschlossen. Insgesamt waren es über 20. Die bekanntesten sind zum Beispiel der Sepplweg, Picasso, Goinger Wunderwelt, der Letzte Larcher, Henkltrail oder die Unvollendete.

Weiters wurden viele Routen am Schleier Wasserfall und in den umliegenden Klettergärten eingebohrt und erstbegangen. Zu dieser Zeit begannen wir schon mit dem Eisklettern mit ziemlich abenteuerlicher Ausrüstung.


Der Absturz

Gerade am Höhepunkt seines Könnens und seiner Kraft wie Ausdauer passierte es. Jetzt machte sich sein hartes Training bezahlt – das Arbeiten in der Nacht, verbunden mit Training, das Klettern und der Ausdauersport am Tag.

Es war das Jahr 1998, als Tom mit seinem damals jungen Neffen Guido Unterwurzacher in der Olpererregion an der Fußsteinkante unterwegs war, als ihn im oberen Drittel der Wand ein Griff ausbrach und er über 27 Meter abstürzte.

Nachdenklich berichtete er von seinem Nahtoderlebnis, wie sich nach oben hin alles wunderschön und warm anfühlte und er die Kirche von Going sah und dahinter den Wilden Kaiser, jedoch in die anderer Richtung alles kalt wurde. Er sah den Gletscher und wie Guido, der am Standplatz war, immer näher kam und er sich dachte, das werde er nicht überleben, dabei spürte er das Brechen seiner Fersen sowie das Reißen der Sehnen.

Zwischen den Felsen gelegen dachte Tom nur an den Buben Guido, dass er ihn nach oben bringen muss, denn Abseilen war wegen dem gerissenem Seil unmöglich. Im Schockzustand schaffte er es. Erst am nächsten Tag wurden im Krankenhaus zwei gebrochene Lendenwirbel, sowie Becken-Steißbein und Fersenbeinbruch festgestellt, was 6 Wochen Gips bedeutete.

Danach ging das Martyrium erst so richtig los.

Tom sagt von sich selbst, was auch die Ärzte in späterer Folge bestätigten, dass er zu dieser Zeit extrem gut austrainiert war, wegen der vielen Klettertouren , über 75 Skitouren im Winter und dem trainieren bis nichts mehr ging.

Allerdings ließen die Muskeln nach sechs Wochen Gips nach, die gebrochenen Wirbel sackten ein und eine inkomplette Querschnittslähmung war die Folge. Erst jetzt wurden in der Klinik sechs weitere gebrochene Brustwirbel sowie ein gebrochener Halswirbel diagnostiziert.

Viele Operationen waren die Folge - zehn Monate im Gips. Ganze vier Jahre, von 1998 bis 2002, musste Tom sich immer wieder Operationen unterziehen.

„Mit den unzähligen Schrauben die ich in mir hatte könnte ich einige Routen schrauben,“ scherzte Tom.


Der Kampf zurück

Tom`s Zielstrebigkeit und Ausdauer, das zu erreichen was er sich einbildete, brachte ihn wieder zurück. Für seine Ärzte gilt er bis heute als medizinisches Wunder. Mit einem Lächeln im Gesicht schilderte mir Tom dass er sich, als er so eingegipst dalag und die Kästchen auf der Zimmerdecke zählte, sagte, dass wenn er hier wieder rauskommt und wieder laufen kann sich über nichts mehr aufregen werde und zufriedener sein wird.


„Immer wenn es mir mal schlecht geht denke ich an diese Zeit zurück! Die Menschen ärgern sich viel zu viel und wegen jeder Kleinigkeit, dabei sollten sie darüber nachdenken wie schnell das Leben vorbei sein kann. Wir alle sollten viel zufriedener sein, denn uns geht es hier wirklich gut!“ so Tom.


Sein Pensionierung und das nicht mehr klettern können warf ihn in eine zweijährige Depressionen. „Ich habe mich nicht mehr vor das Haus getraut,“ schildert Tom, „erst als ich mir eine Schäferhündin, Ilka, zulegte musste ich raus.“ Die Aufgabe, sich mit dem Hund zu beschäftigen, gab ihm die Kraft aus seinem Umfeld wegzugehen und einen Neuanfang zu wagen. So wurde ab jetzt mit dem Hund trainiert, was wieder mit sehr großer Leidenschaft gemacht wurde. Tom konnte sich für die Rettungshunde-Weltmeisterschaften in der Disziplin Fährte im Jahr 2007 sowie 2008 qualifizieren.


Es darf nie einen Stillstand geben

Genau aus diesem Grund, entschloss sich Tom 2009 eine eigene Hundeschule (Hunde- ausbildungszentrum Tirol, ÖHV Wattens) zu gründen, die er mit seiner Lebensgefährtin Sabine sehr erfolgreich führt.


Tom hat nie etwas dem Zufall überlassen. Im Gegenteil, er hat immer penibel genau geplant sowie sich die Frage gestellt: „Was kann im schlimmsten Fall passieren und wie komme ich da wieder raus?“ Für ihn sollte jeder Ziele haben, die zwar hochgesteckt aber nicht unerreichbar sind.