Eine Leidenschaft für den Felsen und die Natur
„Endlich kann ich meine Projekte und mich selbst verwirklichen!“
eh. Mit elf Jahren fing Angy Eiter zu klettern an. Ihr Vater, ein Bergsteiger, und die Kletterhauptschule Imst gaben ihr den Anstoß dazu. Im Alter von 16 stieg die Imsterin komplett in den Kletter-Weltcup ein.
Im Regionalsport-Tirol-Interview erzählte Angy, vierfache Kletterweltmeisterin und dreifache Weltcup-Gesamtsiegerin, über die Verantwortung, die sie als Vorbild hat, ihre Emotionen, Zukunftspläne, die Wichtigkeit des Klettersportes und was für sie der schönste Moment war.
Was war der Auslöser für dich, dass du entschieden hast, ich werde Profikletterin?
Wie ich 19 Jahre alt war, habe ich die AHS-Matura abgeschlossen. Danach stellte sich für mich die Frage, gehe ich weiter meinem Werdegang als Physiotherapeutin nach oder werde ich Kletterprofi? Nachdem ich erfolgreich war, konnte ich mit dem Klettern einfach nicht aufhören, und das Klettern war genau das, das ich machen wollte.
Wie konntest du das finanziell vereinbaren?
Ich war mit elf Jahren in einem Kletterteam. Damals wurden wir bereits von diversen Firmen unterstützt. Als ich die ersten Wettkämpfe bestritt, kamen diverse Firmen auf mich zu. Mit den meisten (Red Bull, Imst Tourismus, Edelrid und La Sportiva) arbeite ich heute noch als Profi-Felskletterin zusammen.
Was bedeute Klettern oder Leistungssport für dich emotional?
Das ist zweiteilig, positiv und negativ. Der Sport kann dir so eine „Watschen“ geben, dass du richtig auf den Boden fällst. Wenn du etwas schaffen willst und es klappt aus irgendwelchen Gründen nicht, ist das wie ein Sturz in ein tiefes Loch. Das erschüttert dich total und ist Verzweiflung pur.
Das absolute Gegenteil passiert dann, wenn du aus eigener Kraft etwas schaffst. Wenn du lange an einem Ziel gearbeitet hast, und es dann wirklich bewältigst, das sind unbeschreiblich Gefühle. Diese Momente kann man fast gar nicht in Worte fassen.
Je länger der Prozess dauert, das gesetzte Ziel zu erreichen, desto mehr Erinnerungen an die Erlebnisse bleiben dir. Das ist für mich entscheidend.
Wie bist du mit Tiefschlägen umgegangen?
Mein größter Tiefschlag war mit Sicherheit meine Schulterverletzung 2008. Am Anfang meinte ich, es ist alles aus. Jetzt kann ich den Sport nicht mehr ausüben. Ich kann mir eine neue Lebensgrundlage suchen. Mein ganzes Leben, wie ich es mir programmiert habe, läuft nicht mehr. Das war aber nur die erste Phase.
In der zweiten Phase resignierte ich. Ließ Leute auf mich zugehen und nahm auch deren Hilfe an.
In der Dritten war ich von mir selber aus bereit, dagegen anzukämpfen. Sei es, was es wolle. Mir war egal, was der Arzt zu mir gesagt hat. Der meinte damals, ich kann mit dem Klettersport aufhören und werde nie wieder dahin kommen, wo ich damals stand.
Ich habe aber gewonnen.
War es die Disziplin einer Profisportlerin, die dir geholfen hat?
Ich glaube, ich konnte durch den Leistungssport damit besser umgehen. Ich hatte vorher schon die eine oder andere Niederlage einstecken müssen und wusste, was es heißt, weiterzukämpfen. Egal was andere sagen.
Ich fing an, mich ganz intensiv mit mir zu befassen, was spüre ich, was mache ich, wie reagiert mein Körper auf gewisse Reize. Ich bin es Schritt für Schritt angegangen und es hat gepasst.
Seit 2013 nimmst du nicht mehr an Wettkämpfen teil. Warum nicht und was machst du jetzt?
Der Auslöser war die Leidenschaft zum Fels und zur Natur. Für Wettkämpfe musste ich immer in der Halle trainieren. Plastik ist einfach anders. Für einen Kletterer ist das Erlebnis im Fels und in der Natur total wichtig.
Ich habe damals schon immer einen Alexander Huber oder einen Stefan Glowacz bewundert und wollte auch meine persönlichen Ziele am Felsen angehen. Ich habe im Wettkampf alles erreicht und dann spürte ich, jetzt ist es so weit, jetzt kann ich damit anfangen, meine Felsprojekte zu verwirklichen. Das verbinde ich jetzt beruflich. Ich dokumentiere, mache Bilder und gebe das weiter. 2011 entstand mit mir, meinem Freund Bernie und Emanuel K3-Climbing, bei dem ich unter anderem Kletterlehrerin.
Wie hat sich das Klettern auf dein Privatleben ausgewirkt?
Das ganze Leben dreht sich um das Klettern. Ich habe dadurch so viel gelernt und mitgenommen, selbst jetzt noch. Wie die Disziplin, das konsequente Arbeiten sowie der Umgang mit Druck und mit Höhen und Tiefen.
Durch das Reisen lernte ich enorm viele Sichtweisen kennen. Was passiert in anderen Ländern? Kämpfen die auch so wie wir?
Wir kämpfen darum, dass es uns nicht gut geht, aber vielen Bewohnern anderer Länder geht es wirklich nicht gut!
Was für einschneidende Erlebnisse hast du mitbekommen?
Einer der erschütterndsten Momente, die ich auf meinen Reisen erlebt habe, war in einem asiatischen Land. Da fragte ich mir wirklich, in was für einer Welt lebe ich?
Dort habe ich die Armut direkt vor meiner Nase gesehen. Es lagen Menschen ohne Gliedmaßen am Boden, auf der Straße und keiner kümmerte sich um sie. Sondern sie stiegen einfach darüber hinweg.
So etwas gibt es in Österreich und in einer zivilisierten Welt nicht, das darf es nicht geben. Das war wirklich wild.
Wie gehst du mit deiner Bekanntheit um?
Davon merke ich heute noch nichts. Es ist total schwierig zu realisieren. Ich bin nicht der Typ, der das verkörpert. Weil ich mit den Menschen normal rede und umgehe.
Erst wenn die Kinder wegen eines Autogramms kommen, Anfragen einlangen, merke ich, dass es eine wichtige Rolle ist, die ich vertrete.
Ich möchte ein gutes Vorbild sein. Vor allem für die jungen Menschen. Ich will, dass sie gut aufwachsen, denn man hört leider so viel Schlechtes.
Dir sind Kinder besonders wichtig. Wie macht sich deine Vorbildwirkung auf sie bemerkbar?
Bei den Kindern sehe ich total, dass es einen großen Einfluss hat, was ich tue und was ich sage. Sie nehmen das enorm auf und wenn die Kinder einen als Vorbild sehen, nehmen sie diese Person sehr ernst. Ich muss als Trainerin gut aufpassen, was ich sage oder tue, und kann mir nicht alles erlauben. Ich trage schließlich die Verantwortung.
Was gibst du deinem Kletternachwuchs weiter?
Dass der Spaß am wichtigsten ist. Es soll nie darum gehen, was erreiche ich, sondern, dass sie sich mit dem Prozess auseinandersetzen. Sie sollen das, was sie lernen, anwenden, umsetzen und viel von dem mitnehmen, was ich ihnen über ihre Fortschritte sage.
Ich lerne ihnen auch, dass sie mit ihren Schwächen zurechtkommen und es schaffen, daran zu arbeiten. Es soll nicht heißen, ich muss es können. Das macht einfach nur Stress. Sie sollen mit mir zusammenarbeiten, dann wird der Erfolg irgendwann kommen. Doch zuerst wird daran gearbeitet.
Wie soll deine Zukunft aussehen?
Hoffentlich irgendwann eine Familie mit Kindern. In nächster Zeit möchte ich mich im Felsklettern verwirklichen und die Projekte angehen, die mir wichtig sind.
Mir ist es auch eine Herzensangelegenheit, meinen Fans und meinem Kletternachwuchs ganz viel mitzugeben. Ich möchte weiter Erfahrungen sammeln, die ich später weitergeben kann. Sei es in Vorträgen oder dergleichen, die bestimmt einmal Platz in meinem Leben finden werden.
Wie siehst du die Kletterhallen im Gegensatz zum Fels und der Natur?
Sehr positiv. In der Kletterhalle kannst du viele Dinge machen, die am Fels bei höchster Sicherheit nicht zu gewährleisten sind. Ich kann in einer Halle den Kindern alles, was die technische Elemente anbelangt, zeigen sowie die Sicherheitskriterien. In einer Halle kann ich das Wettkampftraining gut umsetzten.
Im Fels ist viel mehr Erfahrung vonnöten. Was den Sicherheitsaspekt, die objektiven Gefahren wie Steinschlag und Hakenabstände anbelangt. Ein Fels ist auch nicht unvergänglich. In der Halle ist das alles genormt und ein Kind oder Anfänger kann sich nur auf das Klettern konzentrieren.
Was sagst du zum Klischee Kletterer?
(Lacht) Du meinst alter Bus, sich im Verzicht üben usw.? Das hat sich sehr gewandelt. Alleine schon wegen den touristischen Kletterzielen. Der Kletterer von heute will Geld ausgeben, in einem normalen Bett schlafen und nicht immer verzichten müssen.
Sicherlich, das Abenteuer gehört dazu. Nicht weil er sparen will, sondern weil er im Gelände keine anderer Möglichkeit hat.
Was findest du wichtig: back to the roots oder doch technischer Fortschritt?
Sowohl als auch. Das Ethische und Traditionelle sollte man beim Klettern nicht vergessen. Das ist beim Felsklettern enorm wichtig. Gerade in unserer Gegend ist es ganz kritisch, wie man eine Route nach einer Begehung hinterlässt.
Ich finde, man sollte die Traditionen bewahren und sie weiterhin verfolgen, das gehört sich einfach.
Welche Anschauung hast du zum Speedklettern und dem free solo?
Für mich gibt es da zweierlei Sichtweisen. Derjenige, der es von sich aus tut, weil er sich befähigt sieht, soll das machen. Der Mensch ist freiheitsliebend. So lange kein anderer zu Schaden kommt, kann man ihm nichts vorwerfen.
Schlimm finde ich es dann, wenn jemand reingedrängt wird. Er glaubt, er müsse das tun, weil ein anderer das auch tut und/oder sogar davon lebt. Dann wird es gefährlich.
Welche Ansicht teilst du zum Thema an Grenzen gehen und darüber hinaus?
Jeder wie er will, nur sollte man es vorher einmal ausprobieren. Ich verstehe die Leute, die sagen, ich tue mir das nicht an, für mich hat das keinen Sinn, nur dann, wenn sie es selber erfahren haben. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand über etwas redet, wovon er keine Ahnung hat. Wie kann jemand über einen Sportler jammern und selber noch nie Sport betrieben haben?
Wenn ich nicht über Grenzen gehen kann, vermisse ich etwas in meinem Leben. Ich brauche das. Ich kenne viele Sportler, die das suchen und die eigenen Grenzen überschreiten.
Hast du Vorbilder?
Ich finde Persönlichkeiten, die ihr Leben für andere aufgebe, sich einsetzen und die Stärke, die diese Personen haben, bewundernswert. Ich könnte das nicht, bin weniger der autoritäre Typ.
Ich schätze im sportlichen oder unternehmerischen Bereich Menschen, die bestimmte Dinge realisieren, vor nichts zurückschrecken und Risiken auf sich nehmen.
Gibt es für dich ein Lieblingsklettergebiet?
Das ist total schwierig zu sagen. Es gibt so viele schöne Klettergebiete. Ich bin ein heimatverbundener Mensch. Ich bin am liebsten zu Hause. Daher ist Tirol und der Bezirk Imst mein liebstes Klettergebiet.
In anderen Ländern will ich das Gebiet immer nur ausprobieren. Spätestens nach drei Wochen zieht es mich wieder nach Hause. Hier habe ich alles. Mir geht es hier einfach besser.
Was war dein schönstes Erlebnis, abgesehen von deinen sportlichen Leistungen?
Vielleicht, als ich vor zwei Tagen „Godi“ (Patentante) geworden bin (strahlt). Es ist schwierig zu beurteilen. Für mich sind Momente, die ich mit meiner Familie und mit meinem Freund zusammen verbringen kann, sehr wertvoll.
Der allerschönste Moment für mich war, als ich mit dem Klettern als Wettkampfsport aufgehört habe. Der Stress, nie Zeit für die Familie zu haben, vorbei war. Ich das erste Mal Weihnachten zu Hause mit meiner Familie und mit meinem Freund gefeiert habe. Zusammen mit ihnen den Tag richtig besinnlich erleben durfte, mit allem was dazu gehört. Nur auf die Geschenke verzichteten wir. Denn ich finde, das Schönste ist, sich die Liebe gegenseitig zu schenken.